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In seiner Rede beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zur Anerkennung für die Härten aufgerufen, welche die Wiedervereinigung für viele Menschen im Osten mit sich gebracht habe. "Für Millionen war der Umbruch in den Jahren nach der Einheit vor allem ein Zusammenbruch", sagte Scholz am Donnerstag in Schwerin. "Ein Zusammenbruch ihres gesamten bisherigen Lebens, so wie sie es gekannt und gelebt hatten. Eine Entwertung ihres Wissens, ihrer Erfahrungen, ihrer Lebensleistung."
Diese Erfahrungen dürften "niemals vergessen oder unter den Teppich gekehrt werden", sagte der Kanzler. "Hier liegt wohl eine der Ursachen für die noch immer besondere Stimmung - die besondere Verstimmung - und für politische Besonderheiten, die Ostdeutschland heute kennzeichnen."
Scholz verwies auf Landtagswahlen, "bei denen sich manchmal bis zu einem Drittel der Wählerinnen und Wähler gerade für eine autoritäre und nationalradikale Politik entscheidet". Das sei "verhängnisvoll" und richte großen Schaden an. "Das schadet Sachsen, Thüringen und Brandenburg", sagte er. "Das schadet unserem gesamten Land - unserer Wirtschaft und unserem Ansehen in der Welt." Es werde "noch viel harte Arbeit nötig sein, um diese Entwicklung zurückzudrehen".
Gleichwohl sei die politische Mitte "viel größer als die Radikalen an den Rändern", sagte Scholz. Die "ganz große Mehrheit" der Bürgerinnen und Bürger überall in Deutschland stehe fest auf dem Boden der freiheitlichen Ordnung. "Das sind die Vernünftigen und die Anständigen. Das sind die, die nicht nur motzen, sondern anpacken für unser Land."
Scholz räumte ein, dass die deutsche Einheit auch 34 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht vollendet sei. "Unter 'Vollendung' verstehen wir üblicherweise zugleich, dass etwas 'perfekt' ist: 'unübertrefflich', 'makellos', 'nicht mehr weiter zu verbessern'", sagte der Kanzler - und fügte hinzu: "Ich verrate hier kein Geheimnis: Vollendet in diesem Sinne ist die Deutsche Einheit auch nach 34 Jahren natürlich nicht."
Scholz sagte weiter, es gebe "kein einziges vergleichbares Land der Welt, das in den vergangenen Jahrzehnten vor einer ähnlichen Herausforderung stand wie Deutschland: vor der Herausforderung nämlich, zwei über vier Jahrzehnte hinweg geteilte, völlig verschieden organisierte Teilgesellschaften zusammenzubringen - wirtschaftlich, politisch, kulturell und mental".
Dies begründe einen "angemessenen Stolz auf das, was wir seither gemeinsam in Deutschland geschafft haben", sagte Scholz. Dass weiterhin Unterschiede zwischen Ost und West bestünden, dürfe nicht nur als Makel gesehen werden.
"Die Vorstellung, die Deutsche Einheit wäre dann 'vollendet', wenn der Osten irgendwann einheitlich exakt so ist wie der Westen - wo es doch diesen einen einheitlichen Westen gar nicht gibt -, diese Vorstellung hilft uns im vereinten Deutschland tatsächlich nicht mehr weiter", sagte er. "Sie sorgt nur für Verbitterung und für Frust, weil sie gar nicht erreichbar oder erstrebenswert ist", fügte der Kanzler hinzu. "Unsere innere Vielfalt ist kein Defizit - sie ist eine besondere Stärke unseres Landes."
Die deutsche Einheit sei ein "großes Glück" gewesen, sagte Scholz. Und der 3.Oktober sei eine gute Gelegenheit, sich daran zu erinnern: "Alles hätte auch ganz anders ausgehen können in dieser dramatischen Zeit - weit weniger selbstbestimmt, weit weniger friedlich, weit weniger glücklich."
(H.Schneide--BBZ)