TecDAX
-19.8000
Zwei Tage nach der Zustimmung von Präsident Joe Biden hat die ukrainische Armee Russland erstmals mit ATACMS-Raketen angegriffen. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums erfolgte der ukrainische Angriff mit von den USA gelieferten Waffen auf russisches Gebiet an der Grenze zum Nachbarland. Ein ukrainischer Regierungsvertreter bestätigte der Nachrichtenagentur AFP den Einsatz der Raketen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow kündigte eine "entsprechende" Antwort an und schloss dabei auch den möglichen Einsatz russischer Atomwaffen nicht aus.
Nach Angaben des Verteidigungsministerium in Moskau griff Kiew in der Nacht zu Dienstag eine Militäreinrichtung in der russischen Grenzregion Brjansk mit sechs ballistischen Raketen an. Dabei seien auch von den USA gelieferte weitreichende Raketen des Typs ATACMS eingesetzt worden, hieß es.
Dem Ministerium zufolge wurden fünf der Raketen von der russischen Luftabwehr abgeschossen. Trümmerteile einer sechsten Rakete seien auf eine nicht näher spezifizierte "Militäreinrichtung" gefallen und hätten einen kleinen Brand verursacht. Verletzte oder Schäden gab es demnach nicht. Ein hochrangiger ukrainischer Verantwortlicher bestätigte wenig später den ATACMS-Einsatz in Brjansk.
Russland hatte die Ukraine am 24. Februar 2022 überfallen. Kiew hatte von Washington seit Monaten grünes Licht für den Einsatz von Waffen mit größerer Reichweite - zum Beispiel ATACMS-Raketen - gegen Ziele im russischen Hinterland gefordert. Zuletzt hatte Moskau seinerseits seine Luftangriffe auf ukrainische Städte verstärkt und nach westlichen Angaben Unterstützung von mehr als 10.000 Soldaten aus Nordkorea erhalten. Als Reaktion erlaubten die USA der Ukraine am Wochenende, die von Washington gelieferten Waffen auch gegen militärische Ziele im russischen Landesinneren einzusetzen.
Russlands Außenminister Lawrow sagte zu dem ATACMS-Beschuss: "Wir werden dies als eine neue Phase des westlichen Krieges gegen Russland betrachten und entsprechend reagieren." Es handele sich um ein "Zeichen" der Ukraine und ihrer westlichen Verbündeten, dass diese eine Eskalation suchten. "Wenn Raketen mit größerer Reichweite von der Ukraine aus in Richtung russisches Territorium eingesetzt werden, bedeutet dies, dass sie von US-Militärexperten bedient werden", sagte Lawrow zudem am Rande des G20-Gipfels in Brasilien. In Richtung der westlichen Verbündeten der Ukraine warnte er zudem, diese sollten die russische Nukleardoktrin "vollständig" lesen.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte unmittelbar zuvor die bisher geltenden Regeln für den Einsatz von Atomwaffen gelockert. Ein von ihm unterzeichneter Erlass erlaubt es seinem Land, Atomwaffen gegen einen Nicht-Atomstaat einzusetzen, falls dieser von Atommächten unterstützt wird. Die neue Doktrin erlaubt auch eine atomare Antwort auf "massive" Luftangriffe, selbst wenn bei diesen nur herkömmliche Waffen eingesetzt werden. "Es war notwendig, unsere Grundsätze mit der aktuellen Situation in Einklang zu bringen", kommentierte Kremlsprecher Peskow den Erlass. Seit Beginn des russischen Feldzugs droht Putin immer wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen.
Das Weiße Haus verurteilte den Erlass scharf als "unverantwortliche Rhetorik". "Dies ist mehr von der gleichen unverantwortlichen Rhetorik Russlands, die wir in den vergangenen zwei Jahren erlebt haben", sagte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA der Nachrichtenagentur AFP. Zuvor hatte bereits der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell die mit der neuen Doktrin verbundene Drohung als "völlig unverantwortlich" bezeichnet. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf seinerseits den Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten massive Versäumnisse bei der Entwicklung einer "starken Strategie" gegen Putin vor.
Zuvor hatten sowohl Kiew als auch Moskau ihre Entschlossenheit bekräftigt, 1000 Tage nach der russischen Invasion der Ukraine nicht aufgeben zu wollen. "Wir dürfen nicht zulassen, dass irgendjemand in der Welt an der Widerstandsfähigkeit unseres gesamten Staates zweifelt", sagte Selenskyj.
Während in Moskau Kremlsprecher Dmitri Peskow ankündigte, der russische Einsatz werde "weitergehen und abgeschlossen", stimmte das Parlament in Kiew über den Regierungshaushalt 2025 ab. Darin sind mehr als 60 Prozent der Gesamtausgaben für Verteidigung und Sicherheit vorgesehen, insgesamt handelt es sich um eine Summe von umgerechnet rund 51 Milliarden Euro. Der Haushalt muss noch von Selenskyj unterzeichnet werden. Der ukrainische Staatschef sieht für das kommende Jahr "entscheidende Momente" für den Ausgang des Krieges. "Zu diesem Zeitpunkt wird entschieden, wer siegt", sagte er vor der Haushaltsverabschiedung in einer Rede im ukrainischen Parlament.
Russland plant für das kommende Jahr dreimal so viele Sicherheitsausgaben. Der Haushaltsentwurf Moskaus für 2025 sieht dafür umgerechnet rund 122 Milliarden Euro vor.
Derweil teilte der Internationale Währungsfonds (IWF) mit, dass er mit Kiew eine Einigung über die sechste Überprüfung des laufenden Hilfsprogramms erzielt habe. Diese macht den Weg frei für die Auszahlung von weiteren 1,1 Milliarden Dollar Unterstützung für die Ukraine, die aber noch formell beschlossen werden muss.
(K.Müller--BBZ)