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Nach dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad in Syrien hat die Suche nach den Verantwortlichen für die jahrzehntelange Folter im Land begonnen. Der Anführer der siegreichen Islamistengruppe HTS kündigte am Dienstag an, eine Liste der an Folter beteiligten Ex-Beamten zu veröffentlichen. In der Leichenhalle eines Krankenhauses fanden islamistische Kämpfer nach eigenen Angaben dutzende Leichen, die Folterspuren aufwiesen. Die UNO rief Israel derweil auf, seine massiven Luftangriffe auf Syrien zu beenden.
"Wir werden Belohnungen für jeden anbieten, der Informationen über hochrangige Armee- und Sicherheitsoffiziere liefert, die in Kriegsverbrechen verwickelt sind", erklärte HTS-Anführer Abu Mohammed al-Dscholani. Die Täter müssten zur Rechenschaft gezogen werden, betonte der Anführer der islamistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Scham. Die Miliz hatte am Sonntag Damaskus erobert und Assad gestürzt. Der Machthaber floh nach Russland.
Al-Dscholani forderte auch die Auslieferung von ins Ausland geflohenen "Kriegsverbrechern" nach Syrien. Wer dagegen in der Armee nur seinen Wehrdienst abgeleistet habe, solle von einer Amnestie profitieren.
Seit dem Beginn pro-demokratischer Proteste im Jahr 2011, die zum Bürgerkrieg in Syrien führten, starben nach einer Schätzung der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte aus dem Jahr 2022 rund 100.000 Menschen in syrischen Gefängnissen, viele von ihnen durch Folter.
In einem nahe der Hauptstadt Damaskus gelegenen Krankenhaus entdeckten islamistische Kämpfer nach eigenen Angaben am Montag etwa 40 Leichen mit Folterspuren. AFP liegen dutzende Fotos und Videoaufnahmen von Leichen vor, die Spuren von Folter aufweisen, darunter ausgestochene Augen und fehlende Zähne, Blutspritzer und Blutergüsse.
Nach Angaben der Vereinigung der Inhaftierten und Vermissten des Saidnaja-Gefängnisses (ADMSP) handelt es sich bei den Leichen vermutlich um Insassen des berüchtigten Gefängnisses. Das Saidnaja-Gefängnis ist ein Symbol für die Brutalität der jahrzehntelangen Herrschaft der Assad-Familie. Baschar al-Assad hatte bei seinem Amtsantritt im Jahr 2000 von seinem verstorbenen Vater Hafis al-Assad einen Apparat von Gefängnissen und Haftanstalten übernommen, in denen Andersdenkende weggesperrt wurden.
Die islamistischen Kämpfer ließen während ihrer Offensive in den vergangenen Tagen tausende Gefangene frei, tausende weitere werden aber noch vermisst. Am Montag waren zahlreiche Menschen zum Saidnaja-Gefängnis geströmt, um nach teils seit Jahren inhaftierten Angehörigen zu suchen. Die syrischen Hilfsorganisation Weißhelme erklärte am Dienstag jedoch, sie habe keine weiteren Häftlinge in dem Gefängnis gefunden. Es seien keine "geheimen Zellen" oder Kellerverliese entdeckt worden, von denen zuvor in Gerüchten die Rede war.
UN-Ermittler, die seit Jahren Beweise für schreckliche Verbrechen in dem Land sammeln, hoffen nach dem Sturz Assads auf den lange erhofften Zugang zu Opfern und Tatorten. "Die Beweise in Syrien sind nun endlich verfügbar", sagte der kanadische Staatsanwalt und Leiter des UN-Gremiums zu Syrien, Robert Petit, der Nachrichtenagentur AFP. Das Land sei "ein Tatort, und wenn wir Zugang zum Tatort haben, ist das für uns ein entscheidender Vorteil."
Die an der Spitze der Assad-Gegner stehende HTS war aus der Al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida hervorgegangen, hat nach eigenen Angaben aber seit 2016 keine Verbindungen mehr zu Al-Kaida. Ihr Anführer al-Dscholani präsentiert sich moderat.
Der UN-Syrienbeauftragte Geir Pedersen rief die Miliz HTS und ihre Verbündeten auf, ihren "positive Botschaften" der Einheit an das syrische Volk nun Taten folgen zu lassen. Derzeit werde Syrien von einem "Flickenteppich" aus Gruppen kontrolliert. "Es ist wichtig, dass es nicht zu Konflikten zwischen den Gruppen kommt", sagte er.
Derweil weitete Israel seine Luftangriffe auf das Nachbarland massiv aus. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte flog die israelische Luftwaffe seit Assads Sturz bereits mehr als 300 Luftangriffe auf Ziele in Syrien. Dabei seien "die wichtigsten Militäranlagen in Syrien" zerstört worden, meldete die in Großbritannien ansässige Beobachtungsstelle, deren Angaben oft nicht unabhängig überprüft werden können.
Der UN-Syrienbeauftragte Pedersen mahnte Israel zur Zurückhaltung. "Wir sehen weiterhin israelische Bewegungen und Bombardierungen auf syrischem Gebiet", sagte er in Genf. "Das muss aufhören." Israel wies Berichte zurück, wonach israelische Panzer in Richtung der syrischen Hauptstadt Damaskus vorrücken. Die Berichte seien "vollkommen falsch", schrieb Armeesprecher Avichay Adraee im Onlinedienst X.
Nach dem Sturz Assads war die israelische Armee in die Pufferzone auf den Golanhöhen eingerückt, um die Kontrolle über dieses Gebiet sowie "angrenzende strategische Positionen" zu übernehmen. Das seit Jahrzehnten geltende Abkommen mit Syrien über die Pufferzone erklärte Israel für beendet.
(A.Berg--BBZ)