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Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat von der neuen islamistischen Führung in Syrien die Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen gefordert. Zusammen mit ihrem französischen Kollegen Jean-Noël Barrot habe sie das Angebot der Europäischen Union unterbreitet, dabei mitzuhelfen, dass "das zukünftige Kapitel Syriens ein friedliches und freies wird", sagte Baerbock am Freitag in Damaskus nach einem Treffen mit dem neuen Machthaber Ahmed al-Scharaa. Europa werde jedoch "nicht Geldgeber neuer islamistischer Strukturen sein", warnte sie. Für Aufsehen sorgte, dass al-Scharaa der Ministerin den Handschlag verweigerte.
In Syrien brauche es nun "einen politischen Dialog unter Einbeziehung aller ethnischen und religiösen Gruppen, unter Einbeziehung aller Menschen" und damit "auch der Frauen in diesem Land", betonte Baerbock. Alle müssten am Verfassungsprozess und einer zukünftigen Regierung beteiligt werden. Die beiden Außenminister reisten im Namen der EU und in enger Absprache mit der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas.
Der neue syrische Machthaber al-Scharaa empfing Baerbock und Barrot im Präsidentenpalast. Unter der Führung von al-Scharaas islamistischer Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) war am 8. Dezember der langjährige syrische Machthaber Baschar al-Assad gestürzt worden.
Dass al-Scharaa ihr als Frau bei der Begrüßung nicht die Hand reichte, relativierte die Bundesaußenministerin. Auf die Frage einer Journalistin antwortete Baerbock, ihr sei schon bei der Anreise klar gewesen, "dass es hier offensichtlich nicht gewöhnliche Handschläge geben wird". Barrot und sie hätten mit al-Scharaa jedoch ausführlich das Thema Frauenrechte erörtert. "Frauenrechte sind der Gradmesser für eine Gesellschaft", sagte Baerbock. Dies hätten sie und Barrot "den Verantwortlichen hier in Damaskus auch deutlich gesagt".
Sie habe von vielen Syrern in Deutschland, in Damaskus sowie anderen Ländern gehört, dass diese nur nach Syrien zurückkehren und das Land wieder aufbauen würden, "wenn sicher ist, dass nicht nur ihr Leben, sondern gerade auch das Leben ihrer Kinder, ihrer Töchter sicher und frei" sei. "Die Frage von Wiederaufbau, Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Einbeziehung aller Gruppen hängt engstens miteinander zusammen", betonte sie.
Eine Rückkehr Syriens in die internationale Gemeinschaft sei "kein Automatismus", mahnte Baerbock. Auch dafür brauche es "einen innersyrischen Prozess, der nicht von außen gestört werden darf", sagte die Ministerin mit Blick auf die Nachbarstaaten Syriens. Diese müssten die territoriale Integrität und Souveränität des Landes achten. "Syrien darf weder erneut zum Spielball fremder Mächte noch zum Experiment radikaler Kräfte" werden.
"Essenziell" sei auch die Sicherheit der Kurden, betonte Baerbock. Dafür brauche es ein Ende der Kämpfe im Norden Syriens, verlässliche Sicherheitsgarantien für die Kurden und eine Integration der kurdischen Kräfte in die gesamte syrische Sicherheitsarchitektur. "Unsere Gesprächspartner und wir waren uns einig: Die Aufnahme von ersten Gesprächen mit den kurdisch dominierten SDF ist ein wichtiger erster Schritt in diese Richtung", sagte Baerbock.
Barrot hatte am Vorabend den Chef der von Kurden dominierten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), Maslum Abdi, getroffen. Die Kurden, die von den USA unterstützt werden und jahrelang die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) bekämpft hatten, befürchten, ihre halb-autonome Stellung im Norden Syriens unter den neuen islamistischen Machthabern in Damaskus zu verlieren.
Al-Scharaa hatte sich Anfang der Woche erstmals mit einer SDF-Delegation getroffen. Zuvor hatte er angekündigt, dass kurdische Kämpfer im Norden und Nordosten des Landes in die reguläre Armee des Landes integriert werden sollen.
Zum Auftakt ihres Besuchs besuchten Baerbock und Barrot das Saidnaja-Gefängnis in der Nähe von Damaskus. Sie wurden von Vertretern der syrischen Zivilschutzorganisation Weißhelme durch die unter dem gestürzten Staatschef Assad berüchtigten Haftanstalt geführt. Gemeinsam besichtigten Baerbock und Barrot die unterirdischen Zellen und Kerker, in denen viele Insassen unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten und zu Tode gefoltert wurden.
Es sei wichtig gewesen, "auf die Stimmen der freien Menschen in Syrien zu hören" wie die der Weißhelme. Diese hätten "über all die Jahre immer wieder deutlich gemacht", dass das Assad-Regime ein "menschenverachtendes Folterregime ist". Nun sei es an der internationalen Gemeinschaft zu helfen - "den Menschen, die hier in diesem Höllengefängnis gelitten haben, Gerechtigkeit zu verschaffen", sagte Baerbock weiter.
Laut der Vereinigung der Gefangenen und Vermissten des Saidnaja-Gefängnisses (ADMSP) wurden seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges im Jahr 2011 etwa 30.000 Menschen im Saidnaja-Gefängnis inhaftiert. Am Tag des Sturzes von Assad seien mehr als 4000 Menschen entlassen worden. Viele Häftlinge sind tot oder bleiben vermisst.
Die beiden Außenminister trafen in Damaskus auch Vertreter der Zivilbevölkerung und besuchten die seit dem Bürgerkrieg geschlossenen Botschaftsgebäude Deutschlands und Frankreichs in Damaskus.
(O.Joost--BBZ)