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Nach der verkündeten Einigung auf ein Waffenruhe-Abkommen für den Gazastreifen ist die Umsetzung weiter ungewiss. Israel warf der radikalislamischen Hamas am Donnerstag vor, sich von Teilen der Vereinbarung zurückzuziehen, um "Zugeständnisse in letzter Minute zu erpressen". Eine Zusammenkunft des israelischen Kabinetts wurde daher vorerst aufgeschoben. Die Hamas wies die Anschuldigungen zurück. International hatte die Vereinbarung die Hoffnung auf Frieden und eine Stabilisierung der Region ausgelöst. Am Freitag meldete der Zivilschutz im Gazastreifen aber erneut zahlreiche Tote durch israelische Angriffe.
"Die Hamas hält Teile der mit den Vermittlern und Israel getroffenen Vereinbarung nicht ein, um Zugeständnisse in letzter Minute zu erpressen", erklärte das Büro des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu. Dies habe zu einer "Krise in letzter Minute" geführt. Ohne eine Mitteilung der Vermittler, "dass die Hamas alle Elemente des Abkommens akzeptiert hat", werde das Sicherheitskabinett in Israel nicht zusammenkommen.
Das israelische Kabinett muss dem Abkommen über eine Waffenruhe noch zustimmen. Laut israelischen Medienberichten war ursprünglich für Donnerstagvormittag ein Zusammenkunft geplant. Laut einem israelischen Radiosender sind die Verzögerungen allerdings auch auf innenpolitische Unstimmigkeiten zurückzuführen: Unter anderem der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich stellt sich gegen das Abkommen mit der Hamas.
Diese wies derweil die Vorwürfe aus Israel zurück. Sie entbehrten "jeder Grundlage", sagte ein Hamas-Vertreter der Nachrichtenagentur AFP. Er warf Israel vor, "in einem entscheidenden Moment Spannungen aus dem Nichts" zu schaffen.
Nach monatelangen indirekten Verhandlungen für ein Abkommen in dem seit 15 Monaten andauernden Krieg im Gazastreifen hatten die Vermittler Katar und USA am Mittwoch einen Durchbruch und die Einigung auf ein Abkommen verkündet. Demnach soll am Sonntag eine zunächst sechswöchige Waffenruhe in Kraft treten, während der 33 israelische Geiseln nach und nach im Austausch für palästinensische Gefangenen freigelassen werden sollen.
Zudem soll sich die israelische Armee laut den Vermittlern aus dicht besiedelten Gebieten des Gazastreifens zurückziehen. Details zu den Phasen zwei und drei werden nach Angaben von Katars Regierungschef Mohammed bin Abdulrahman al-Thani noch ausgehandelt.
Die Reaktionen auf die Ankündigung fielen sowohl im Gazastreifen als auch in Israel gemischt aus. Er fühle "eine große Freude und gleichzeitig eine tiefe Trauer", sagte Fadl Naeem aus der Stadt Gaza der AFP. "Wir haben durch den Krieg Enkel, Väter, Brüder, Cousins, Nachbarn und unsere Häuser verloren." In Tel Aviv sagte der Rentner Simon Patya, er empfinde "große Freude" darüber, dass einige Geiseln lebend zurückkehren werden, aber auch "große Trauer" um diejenigen, die in Leichensäcken zurückkehrten.
International stieß die Einigung vielerorts auf große Erleichterung: Das Abkommen zeige, "wie wichtig es ist, auch in den schwersten Stunden der Diplomatie immer dran zu bleiben", sagte Bundesaußenminister Annalena Baerbock (Grüne) am Donnerstag im ARD-"Morgenmagazin". EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte im Onlinedienst X, die Vereinbarung bringe "Hoffnung für die gesamte Region, in der die Menschen viel zu lange unermessliches Leid erlitten" hätten. Die EU kündigte ein neues Hilfspaket von 120 Millionen Euro für den Gazastreifen an.
Zurückhaltender äußerte sich Kremlsprecher Dmitri Peskow. "Jede Vereinbarung, die zu einem Waffenstillstand und einem Ende des Leides der Menschen im Gazastreifen führt und die Sicherheit Israels erhöht, kann nur begrüßt werden", betonte er. Allerdings müsse die "Beendigung des Prozesses" abgewartet werden. Aus China hieß es, die Regierung hoffe, dass das Abkommen "effektiv umgesetzt werden kann, um eine umfassende und dauerhafte Waffenruhe" zu erreichen.
Der Krieg im Gazastreifen war durch den Großangriff der Hamas und mit ihr verbündeter Gruppen auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden. Dabei wurden israelischen Angaben zufolge 1210 Menschen getötet, 251 Geiseln wurden in den Gazastreifen verschleppt. 94 der Geiseln sollen sich nach wie vor dort befinden, 34 von ihnen sind laut der israelischen Armee bereits tot. Unter den noch festgehaltenen Geiseln befindet sich auch eine niedrige zweistellige Zahl von Menschen mit Deutschland-Bezug, hieß es aus dem Auswärtigen Amt.
Israel ging seit dem Hamas-Überfall massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde, die nicht unabhängig überprüft werden können, bislang mehr als 46.700 Menschen getötet. Auch nach der Ankündigung einer möglichen Waffenruhe setzte die israelische Armee ihre Angriffe auf Ziele in dem Palästinensergebiet fort. Laut dem palästinensischen Zivilschutz wurden mindestens 73 Menschen getötet und hunderte weitere verletzt.
(B.Hartmann--BBZ)