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Auf den ersten Blick sieht er aus wie einer von vielen Seen in Kanada. Forscher haben den Crawford Lake nun aber als Referenzort ausgewählt, an dem sich der Anbruch eines neuen, vom Menschen geprägten Erdzeitalters, des sogenannten Anthropozäns, am besten belegen lässt. Die internationale Anthropozän-Forschungsgruppe und die Max-Planck-Gesellschaft verkündeten ihre Entscheidung am Dienstag in Berlin. Damit wurde ein weiterer Schritt getan hin zu einer offiziellen wissenschaftlichen Anerkennung des Anthropozän.
Den Beginn dieses neuen Erdzeitalters datieren die Forscher auf Mitte des 20. Jahrhunderts. Offiziell leben die Menschen bisher noch im geologischen Zeitalter des Holozäns, das vor rund 11.700 Jahren begann. Die Menschheit hat das Erdsystem jedoch so stark verändert, dass aus Sicht der Anthropozän-Forschungsgruppe ein neues Erdzeitalter angebrochen ist.
Für eine offizielle Anerkennung, die keineswegs von allen Wissenschaftlern als gerechtfertigt angesehen wird, sind allerdings klare wissenschaftliche Belege nötig und hier vor allem ein konkreter Referenzort für das neue Zeitalter. Dieser wurde nun mit dem Crawford Lake in der kanadischen Provinz Ontario gefunden.
"Der See ist mit 24 Metern sehr tief für seine Größe", erklärte die Geowissenschaftlerin Francine McCarthy von der Brock University in Ontario. Sein entsprechend ruhiges Tiefenwasser ermögliche eine ungestörte Sedimentablagerung. Die jährlichen Schichten des Sediments seien besonders gut unterscheidbar und bildeten so ein stabiles geologisches Archiv. So zeugen etwa Asche aus der Verfeuerung von Erdöl und Kohle sowie Schwermetalle und Mikroplastik in den Schichten vom Einfluss des Menschen.
Der niederländische Chemienobelpreisträger Paul Crutzen, der die Theorie eines Anthropozän im Jahr 2002 vorgestellt hatte, hatte vorgeschlagen, das neue Erdzeitalter an den Treibhausgas-Emissionen der Menschheit seit Erfindung der Dampfmaschine festzumachen. Die Anthropozän-Forschungsgruppe entschied sich aber für einen anderen Marker.
Tatsächlich ließen sich Spuren der Verbrennung fossiler Brennstoffe zwar im Boden nachweisen, erklärte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Colin Waters von der britischen University of Leicester. Dies sei aber nur lokal vor allem in Europa der Fall. "In Australien würde man nichts finden", betonte Waters. Damit würde das Kriterium einer globalen Nachweisbarkeit des neuen Zeitalters verfehlt.
Die Forscher entschieden sich daher für Plutonium-Isotope aus oberirdischen Atomwaffentests, die ab 1945 stattfanden, als zuverlässigstem Marker. Im Crawford Lake ist das Plutonium ab Ende der 1940er-Jahre zu finden, mit einem schnellen Anstieg ab 1950.
Da die USA 1952 erstmals eine riesige Wasserstoffbombe in einem Atoll der Marshall-Inseln testeten, könnte dieses Jahr als Beginn des Anthropozäns festgelegt werden, wie Arbeitsgruppenmitglied Andy Cundy von der University of Southampton der Nachrichtenagentur AFP sagte. Die vorherigen Atomtests hätten nur regional ihre Spuren hinterlassen.
Die Entscheidung für den Crawford Lake muss nun laut Max-Planck-Gesellschaft noch weitere Abstimmungen unter Experten durchlaufen. Bei entsprechender Zustimmung könnte die Fachgesellschaft International Union of Geological Sciences (IUGS) den Lake Crawford demnach im August 2024 für das Anthropozän als geologischen Referenzpunkt, in der Fachsprache Global Stratotype Section and Point (GSSP) genannt, ratifizieren.
Für IUGS-Generalsekretär Stanley Finney ist das längst nicht ausgemacht. "Das Votum der Arbeitsgruppe ist ein Routine-Schritt auf niedrigstem Level", sagte er der AFP. Die Arbeitsgruppe müsse ihre Wahl der Internationalen Stratigraphischen Kommission vorlegen und danach werde sie noch von unabhängigen Wissenschaftlern im sogenannten Peer-Review-Verfahren überprüft.
Sollte der Lake Crawford bestätigt werden, würde der See in Kanada wie die Referenzorte früherer Erdzeitalter mit einer goldfarbenen Plakette, dem sogenannten Golden Spike, gekennzeichnet werden.
Die Entscheidung der 2009 eingesetzten Anthropozän-Forschungsgruppe für den Crawford Lake war nach jahrelanger Prüfung gefallen. Insgesamt zwölf Orte auf der Erde waren in die Auswahl gekommen, darunter Korallenriffe und Eiskerne.
Daran, dass bereits vor Jahrzehnten ein neues Erdzeitalter angebrochen ist, hat Arbeitsgruppenmitglied Cundy keinen Zweifel. "Die Daten zeigen eine klare Verschiebung ab Mitte des 20. Jahrhunderts, die das Erdsystem über die Grenzen des Holozäns befördert", sagte er AFP.
(B.Hartmann--BBZ)